Geschlechtsdiskriminierende Werbung – Einfaches Recht und Rechtsprechung in Deutschland
In Deutschland existiert außer in § 7 Rundfunkstaatsvertrag (RStV), der aber nur für den Rundfunk (also Fernsehen und Radio) gilt, kein Verbot geschlechtsdiskriminierender Werbung. Gerichtliche Entscheidungen zu geschlechtsdiskriminierender Werbung hat es dennoch gegeben: Zum einen über § 1 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) in seiner bis 2004 geltenden Fassung und über §§ 119, 120 OWiG (Ordnungswidrigkeitengesetz).
§ 1 UWG a.F.
4.1.1. BGH: Busengrapscher/Schlüpferstürmer
Das Urteil „Busengrapscher“ war 1995 die erste Entscheidung eines deutschen Gerichts, die eine geschlechtsdiskriminierende Werbung feststellte und untersagte. Der Bundesgerichtshof (BGH) nahm darin an, dass geschlechtsdiskriminierende Werbung Grundrechte verletzt, und zog das UWG für ein Verbot heran. Streitgegenständlich war die Gestaltung zweier Miniatur-Likörflaschen. Während das Etikett „Busengrapscher“ einen Mann zeigte, der einer Frau von hinten an die Brust griff, war auf dem Etikett „Schlüpferstürmer“ eine fast nackte Frau zu sehen, die gerade dabei war, ihren Slip auszuziehen.

Busengrapscher Schlüpferstürmer, Gerhard Otto Plage Spirituosenfabrik, Weinkellerei und Weinimport, Sarstedt, 1995, jetzt: http://spam.tamagothi.de/2007/03/27/die-schoenste-fick-rate/
Die Vorinstanzen sahen darin einen „erkennbar bloß […] anzüglichen Scherz mit sexuellen Phantasievorstellungen“. Sie erkannten eine „schlüpfrig niedrige Ebene sexueller Anspielung“, welche aber „nicht geeignet [sei], das sittliche Empfinden der angesprochenen Verkehrskreise zu verletzen und insbesondere die weibliche Verbraucherschaft in ihrem Selbstwertgefühl zu kränken.“16 Außerdem sei das Publikum heute an frivole Texte und sexbetonte Bilder gewöhnt und empfände ein solches Werben daher nicht als grobe Belästigung.17 Der BGH stimmte dem nicht zu und beurteilte beide Gestaltungen als unlauter nach dem damaligen § 1 UWG von 1909. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass beide Etiketten durch Wort- und Bilddarstellungen geprägt seien, „die in obszöner Weise den Eindruck der freien Verfügbarkeit der Frau in sexueller Hinsicht vermitteln und zugleich die Vorstellung fördern sollen, dass die so bezeichneten alkoholischen Getränke geeignet seien, solcher Verfügbarkeit für die angesprochenen sexuellen Handlungen Vorschub zu leisten.“18 Die Feststellung der Vorinstanzen, das Publikum werde die Etikettierung nicht auch als Propagierung eines Mittels zur Überwindung sexueller Widerstände verstehen, sei mit der Lebenswirklichkeit nicht in Einklang zu bringen. Im Gegenteil läge ein solches Verständnis nahe und werde bewusst angesprochen, wobei es nicht nur darum gehe, bei der Frau, sondern auch beim Mann den Gedanken an Enthemmung zu wecken, um letzteren zu sexueller Initiative zu bewegen.19
Bei einem solchen Verständnis bedeute die Werbeaussage eine Herabsetzung und Diskriminierung der Frau. Dies verstoße, wenn die Aussage, wie vorliegend, zur Förderung des eigenen Warenabsatzes erfolge, gegen § 1 UWG von 1909.20 Bei der Werbung handele es sich „nicht mehr um ein lediglich als grob geschmacklos zu qualifizierendes Verhalten“, vielmehr verstoße sie wegen der kränkenden Herabsetzung eines Bevölkerungsteils in grobem Maße gegen das allgemeine Anstandsgefühl und wirke dadurch Ärgernis erregend und belästigend. Damit sei die durch Art. 1 GG geschützte menschliche Würde betroffen.21 Allerdings führte der BGH auch aus, dass sich die Schwelle des noch Hinzunehmenden trotz des Ärgerniserregens durch die in jedem Einzelfall vorzunehmende Güterabwägung erhöhen könne, wenn Darstellungen in den Medien in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fielen.22 An einem Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung, welche nach der Rechtsprechung des BVerfG konstitutiv für das Vorliegen einer Meinungsäußerung sind,23 fehle es hier aber. Die Werbung befriedige erkennbar keinerlei Meinungsbildungsbedürfnis, sondern solle allein der Förderung des Absatzes von Waren dienen. Ein solch ausschließlich kommerzielles Interesse habe jedoch bei der gebotenen Güterabwägung an Bedeutung und Gewicht zurückzutreten, wenn ihm schützenswerte Interessen anderer gegenüberstehen.24 Als schützenswerte Interessen nannte der BGH zum einen diejenigen des teilweise durch die Diskriminierung unmittelbar betroffenen Publikums und machte damit deutlich, dass auch Verbraucher_innen und sonstige Marktteilnehmende selbst unmittelbar durch diskriminierende Werbung betroffen sein können.25 Zum anderen betonte das Gericht, dass auch die Interessen der Mitbewerber_innen berührt seien, da sie in die Zwangslage gebracht würden, entweder „sich selbst um des Markterfolgs willen Werbeaussagen wie die hier in Rede stehenden zu eigen zu machen oder Wettbewerbsnachteile gegenüber solchen Mitbewerbern in Kauf zu nehmen, die keine Bedenken haben, Werbeaussagen der beanstandeten Art zum Mittel ihres Wettbewerbs zu machen.“26
OLG München: Werbung mit erotischem Bezug
In einem zweiten, kurz danach entschiedenen Fall hatte das Oberlandesgericht (OLG) München eine Werbeanzeige zu beurteilen, deren zentrales Bildelement die Gestalt einer auf gefliesten Treppenstufen sitzenden Frau war. Diese trug ein eng anliegendes, langes, schulterfreies, vorn mit einem Reißverschluss verschlossenes Kleidungsstück sowie schwarze Handschuhe mit langen Armen. Ihre Beine gingen über in ein überdimensionales flossenähnliches Gebilde, das an Nixendarstellungen erinnerte. Über ihrem Kopf fanden sich die Worte: „Hätten Sie nicht Lust, sie gleich zu öffnen?“ Neben dieser Abbildung stand, farblich abgesetzt, eine Flasche des beworbenen Wodkas.

Kremlyovskaja, 1995, jetzt: https://www.ichliebediemarke.com/kremlyovskaya/kremlyovskaya/kremlyovskaya-kremlyovskaya-russlands-vodka-nr-1-hatten-sie-nicht-lust-sie-gleich-zu-offnen
Das OLG München urteilte, ein „erotischer Bezug [sei] unübersehbar“. Einen „eindeutigen” sexuellen Gehalt, wie ihn die „handgreiflichen” Abbildungen hatten, die der […] Entscheidung des BGH zugrunde lagen“, konnte das Gericht jedoch nicht erkennen.27 Übertrieben herausgestellte sexuelle Elemente würden vielmehr fehlen; die Anzeige spiele durch den Werbeslogan „Hätten Sie nicht Lust, sie gleich zu öffnen?“ vieldeutig-mehrdeutig mit möglichen Assoziationen. Der plump-aufdringliche Aufforderungscharakter der Etiketten, die der Busengrapscher-Entscheidung des BGH zugrunde lagen, fehle der hier vorliegenden Werbung. Damit habe sie keinen Charakter, „der von dem verbreiteten Einsatz erotischer Anreize oder sexueller Anspielungen in der Werbung deutlich ins Negative abweicht“ und sei daher mit den guten Sitten im Wettbewerb, § 1 UWG (a.F.), vereinbar.28 Auch hier war also der eine gewisse Grenze überschreitende, eindeutige sexuelle Gehalt für ein Verbot nach dem UWG entscheidend.
Diskussion und Entwicklung zum UWG
Die Entscheidungen verleiteten das Schrifttum dazu, sich der Frage des juristischen (vor allem lauterkeitsrechtlichen) Umgangs mit geschlechtsdiskriminierender Werbung zu stellen.29 Einigkeit bestand darüber, dass über § 1 UWG 1909 jedenfalls Fälle mit menschenwürdeverletzendem Inhalt erfassbar seien. Damit endete aber die Gemeinsamkeit: Einigen Stimmen in der Literatur genügte dieses Ergebnis; sie sahen in Darstellungen, die nicht die Menschenwürde verletzten, nur nicht verbotswürdige Geschmacklosigkeiten.
In Deutschland existiert außer in § 7 Rundfunkstaatsvertrag (RStV), der aber nur für den Rundfunk (also Fernsehen und Radio) gilt, kein Verbot geschlechtsdiskriminierender Werbung. Gerichtliche Entscheidungen zu geschlechtsdiskriminierender Werbung hat es dennoch gegeben: Zum einen über § 1 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) in seiner bis 2004 geltenden Fassung und über §§ 119, 120 OWiG (Ordnungswidrigkeitengesetz).
§ 1 UWG a.F.
4.1.1. BGH: Busengrapscher/Schlüpferstürmer
Das Urteil „Busengrapscher“ war 1995 die erste Entscheidung eines deutschen Gerichts, die eine geschlechtsdiskriminierende Werbung feststellte und untersagte. Der Bundesgerichtshof (BGH) nahm darin an, dass geschlechtsdiskriminierende Werbung Grundrechte verletzt, und zog das UWG für ein Verbot heran. Streitgegenständlich war die Gestaltung zweier Miniatur-Likörflaschen. Während das Etikett „Busengrapscher“ einen Mann zeigte, der einer Frau von hinten an die Brust griff, war auf dem Etikett „Schlüpferstürmer“ eine fast nackte Frau zu sehen, die gerade dabei war, ihren Slip auszuziehen.
Die Vorinstanzen sahen darin einen „erkennbar bloß […] anzüglichen Scherz mit sexuellen Phantasievorstellungen“. Sie erkannten eine „schlüpfrig niedrige Ebene sexueller Anspielung“, welche aber „nicht geeignet [sei], das sittliche Empfinden der angesprochenen Verkehrskreise zu verletzen und insbesondere die weibliche Verbraucherschaft in ihrem Selbstwertgefühl zu kränken.“16 Außerdem sei das Publikum heute an frivole Texte und sexbetonte Bilder gewöhnt und empfände ein solches Werben daher nicht als grobe Belästigung.17 Der BGH stimmte dem nicht zu und beurteilte beide Gestaltungen als unlauter nach dem damaligen § 1 UWG von 1909. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass beide Etiketten durch Wort- und Bilddarstellungen geprägt seien, „die in obszöner Weise den Eindruck der freien Verfügbarkeit der Frau in sexueller Hinsicht vermitteln und zugleich die Vorstellung fördern sollen, dass die so bezeichneten alkoholischen Getränke geeignet seien, solcher Verfügbarkeit für die angesprochenen sexuellen Handlungen Vorschub zu leisten.“18 Die Feststellung der Vorinstanzen, das Publikum werde die Etikettierung nicht auch als Propagierung eines Mittels zur Überwindung sexueller Widerstände verstehen, sei mit der Lebenswirklichkeit nicht in Einklang zu bringen. Im Gegenteil läge ein solches Verständnis nahe und werde bewusst angesprochen, wobei es nicht nur darum gehe, bei der Frau, sondern auch beim Mann den Gedanken an Enthemmung zu wecken, um letzteren zu sexueller Initiative zu bewegen.19
Bei einem solchen Verständnis bedeute die Werbeaussage eine Herabsetzung und Diskriminierung der Frau. Dies verstoße, wenn die Aussage, wie vorliegend, zur Förderung des eigenen Warenabsatzes erfolge, gegen § 1 UWG von 1909.20 Bei der Werbung handele es sich „nicht mehr um ein lediglich als grob geschmacklos zu qualifizierendes Verhalten“, vielmehr verstoße sie wegen der kränkenden Herabsetzung eines Bevölkerungsteils in grobem Maße gegen das allgemeine Anstandsgefühl und wirke dadurch Ärgernis erregend und belästigend. Damit sei die durch Art. 1 GG geschützte menschliche Würde betroffen.21 Allerdings führte der BGH auch aus, dass sich die Schwelle des noch Hinzunehmenden trotz des Ärgerniserregens durch die in jedem Einzelfall vorzunehmende Güterabwägung erhöhen könne, wenn Darstellungen in den Medien in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fielen.22 An einem Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung, welche nach der Rechtsprechung des BVerfG konstitutiv für das Vorliegen einer Meinungsäußerung sind,23 fehle es hier aber. Die Werbung befriedige erkennbar keinerlei Meinungsbildungsbedürfnis, sondern solle allein der Förderung des Absatzes von Waren dienen. Ein solch ausschließlich kommerzielles Interesse habe jedoch bei der gebotenen Güterabwägung an Bedeutung und Gewicht zurückzutreten, wenn ihm schützenswerte Interessen anderer gegenüberstehen.24 Als schützenswerte Interessen nannte der BGH zum einen diejenigen des teilweise durch die Diskriminierung unmittelbar betroffenen Publikums und machte damit deutlich, dass auch Verbraucher_innen und sonstige Marktteilnehmende selbst unmittelbar durch diskriminierende Werbung betroffen sein können.25 Zum anderen betonte das Gericht, dass auch die Interessen der Mitbewerber_innen berührt seien, da sie in die Zwangslage gebracht würden, entweder „sich selbst um des Markterfolgs willen Werbeaussagen wie die hier in Rede stehenden zu eigen zu machen oder Wettbewerbsnachteile gegenüber solchen Mitbewerbern in Kauf zu nehmen, die keine Bedenken haben, Werbeaussagen der beanstandeten Art zum Mittel ihres Wettbewerbs zu machen.“26
OLG München: Werbung mit erotischem Bezug
In einem zweiten, kurz danach entschiedenen Fall hatte das Oberlandesgericht (OLG) München eine Werbeanzeige zu beurteilen, deren zentrales Bildelement die Gestalt einer auf gefliesten Treppenstufen sitzenden Frau war. Diese trug ein eng anliegendes, langes, schulterfreies, vorn mit einem Reißverschluss verschlossenes Kleidungsstück sowie schwarze Handschuhe mit langen Armen. Ihre Beine gingen über in ein überdimensionales flossenähnliches Gebilde, das an Nixendarstellungen erinnerte. Über ihrem Kopf fanden sich die Worte: „Hätten Sie nicht Lust, sie gleich zu öffnen?“ Neben dieser Abbildung stand, farblich abgesetzt, eine Flasche des beworbenen Wodkas.
Das OLG München urteilte, ein „erotischer Bezug [sei] unübersehbar“. Einen „eindeutigen” sexuellen Gehalt, wie ihn die „handgreiflichen” Abbildungen hatten, die der […] Entscheidung des BGH zugrunde lagen“, konnte das Gericht jedoch nicht erkennen.27 Übertrieben herausgestellte sexuelle Elemente würden vielmehr fehlen; die Anzeige spiele durch den Werbeslogan „Hätten Sie nicht Lust, sie gleich zu öffnen?“ vieldeutig-mehrdeutig mit möglichen Assoziationen. Der plump-aufdringliche Aufforderungscharakter der Etiketten, die der Busengrapscher-Entscheidung des BGH zugrunde lagen, fehle der hier vorliegenden Werbung. Damit habe sie keinen Charakter, „der von dem verbreiteten Einsatz erotischer Anreize oder sexueller Anspielungen in der Werbung deutlich ins Negative abweicht“ und sei daher mit den guten Sitten im Wettbewerb, § 1 UWG (a.F.), vereinbar.28 Auch hier war also der eine gewisse Grenze überschreitende, eindeutige sexuelle Gehalt für ein Verbot nach dem UWG entscheidend.
Diskussion und Entwicklung zum UWG
Die Entscheidungen verleiteten das Schrifttum dazu, sich der Frage des juristischen (vor allem lauterkeitsrechtlichen) Umgangs mit geschlechtsdiskriminierender Werbung zu stellen.29 Einigkeit bestand darüber, dass über § 1 UWG 1909 jedenfalls Fälle mit menschenwürdeverletzendem Inhalt erfassbar seien. Damit endete aber die Gemeinsamkeit: Einigen Stimmen in der Literatur genügte dieses Ergebnis; sie sahen in Darstellungen, die nicht die Menschenwürde verletzten, nur nicht verbotswürdige Geschmacklosigkeiten.30 Wie auch in den Gerichtsentscheidungen wurden Nacktheit und Sexualbezug tendenziell als üblich angesehen und sollten nur unterbunden werden, wenn die Kampagnen allzu eindeutig waren und damit zu stark von einer Normalität abwichen, an die sich das Publikum gewöhnt hatte. Geschlechtsdiskriminierende Werbung blieb auf den Bereich sexualbezogener Darstellungen beschränkt.31
Andere subsumierten unter geschlechtsbezogene Diskriminierung auch Darstellungen, die Geschlechtsrollenstereotype verfestigen,32 und erkannten darin einen Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Menschenwürde.33 Sie forderten bereits damals eine eigenständige Norm für geschlechtsdiskriminierende Werbung34 oder zumindest eine eigene Fallgruppe im Rahmen der Generalklausel.35
Im Rahmen der UWG-Novelle von 2004, seit der keine gerichtlichen Entscheidungen zu geschlechtsdiskriminierender Werbung mehr ergangen sind, wurde in § 4 Nr. 1 ein Verbot menschenverachtender Werbung aufgenommen, unter welches nach der Gesetzesbegründung auch die von der Rechtsprechung zur diskriminierenden Werbung entwickelten Fallkonstellationen subsumierbar sein sollten.36 Die Norm ist aber nach ganz herrschender (zutreffender) Meinung aufgrund des Wortlauts nicht auf die ursprünglich gedachten Fälle anwendbar und damit nicht geeignet, die ihr der Begründung nach zukommenden Funktionen umzusetzen.37 Die überwiegende Ansicht in der Literatur will von der neue Generalklausel (§ 3 UWG) nicht auch den Schutz ethischer oder sozialer Grundwerte erfasst sehen,38 sondern Verbraucher_innen nur in ihrer Rolle als „Schiedsrichter“ schützen und höchstens bei Verletzungen der Menschenwürde eine Grenze ziehen.39
§§ 119, 120 OWiG – OVG Münster: Erotik-Portal
Eine aktuellere Entscheidung hat es im Ordnungswidrigkeitenrecht gegeben. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster entschied zu der Werbung eines Onlineportals, nachdem das werbende Unternehmen, ein Erotikportal in Köln, gerichtlich gegen eine Untersagungsverfügung des Ordnungsamtes vorgegangen war.
Streitgegenstand war die Werbung des Unternehmens auf einem Transporter. Dort war neben der Internetadresse des Erotikportals sowohl auf der Seiten- wie auch auf der Heckfläche eine nur sehr spärlich bekleidete Frau mit Maske, bzw. ihr Gesäß abgebildet.

6today, Sex-Today, Erotikportal, 2009
Das OVG Münster sah §§ 119, 120 OWiG verletzt, womit das Unternehmen mit seinem Vorgehen gegen die Ordnungsverfügung scheiterte.
Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die großformatige Abbildung auf der Hecktür bereits durch ihre Größe sowie die Perspektive und die Wahl des gezeigten Ausschnitts das Geschlechtliche in den Vordergrund stelle und die dargestellte nahezu unbekleidete Frau zum beliebig austauschbaren Objekt geschlechtlicher Begierde herabwürdige.40
Im Straßenverkehr würden mit dieser aufdringlichen Bebilderung Verkehrsteilnehmende konfrontiert, ohne sich dem (etwa an Ampeln oder in Staus) entziehen zu können. Dies geschehe auch an Orten besonderer Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, an denen die Bevölkerung auch unter den gewandelten gesellschaftlichen Verhältnissen im Allgemeinen nicht mit belästigenden Begleiterscheinungen der Sex-Arbeit rechnen müsse.
Entscheidend war, ob die Darstellung dem Normzweck von § 119 OWiG entsprechend „grob anstößig“ oder „belästigend“ war.
Kritik der Rechtsprechung zu diskriminierender Werbung
Der Blick in die – sehr vereinzelte – Rechtsprechung und Literatur zu diskriminierender Werbung zeigt, dass teilweise zwar durchaus auf konkrete Eigenschaftszuschreibungen abgestellt wird. Dies betrifft jedoch ausschließlich die Verfügbarkeit der Frau. Darüber hinaus argumentieren Richter_innen und Wissenschaftler_innen häufig entweder mit Geschmack oder mit der Menschenwürde – welche beide kaum geeignet sind, geschlechtsdiskriminierende Werbung zu erfassen.
Problematisch ist zudem die Argumentation, es läge kein Gesetzesverstoß vor, solange eine Darstellung nicht von den üblichen (vor allem sexualisierten) Darstellungen in der Werbung abweiche. Es besteht zweifelsohne eine Gewöhnung an bestimmte Darstellungen in der Werbung. Dass Rezipient_innen sich an bestimmte mediale Bilde gewöhnen, sie nicht mehr hinterfragen und sie – zumindest unterschwellig – als Normalität wahrnehmen, ist gerade Teil des Problems geschlechtsdiskriminierender Werbung. Die Häufigkeit und Üblichkeit diskriminierender Bilder in der Werbung kann nicht zur Begründung für ihre Rechtmäßigkeit gemacht werden. Insbesondere tritt so eine schleichende Konditionierung der Rezipient_innen ein, wenn Bilder sukzessive häufiger und expliziter werden. Zudem hängen Verbote diskriminierender Werbung – und auch diesbezügliche Beanstandungen durch den Werberat – in erster Linie von der Interpretation und Sensibilität der Entscheider_innen ab.
16 KG Berlin GRUR 1993, 778 (reduzierter Leitsatz).
17 Ebenda.
18 BGH, Urt. v. 18.05.1995, Az. I ZR 91/93, BGHZ 130, 5, 9 f. – Busengrapscher.
19 Ebenda.
20 Ebenda.
21 BGHZ 130, 5, 10 – Busengrapscher.
22 BGHZ 130, 5, 11 – Busengrapscher.
23 BVerfG NJW 1994, 3342; 1992, 1153; BVerfGE 71, 162, 175, 179.
24 BGHZ 130, 5, 11 f. – Busengrapscher; vgl. auch BGH GRUR 1994, 808 – Markenverunglimpfung I.
25 BGHZ 130, 5, 12 – Busengrapscher.
26 Ebenda.
27 OLG München NJW-RR 1997, 107 – Werbung mit erotischem Bezug.
28 Ebenda, mit Bezug auf BGHZ 130, 5 – Busengrapscher.
29 Vgl. nur Wassermeyer Diskriminierende Werbung; Steinbeck ZRP 2002, 435; Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367; Fezer WRP 2001, 989; ders. JZ 1998, 265; Kur WRP 1995, 790.
30 Ruess/Voigt WRP 2002, 171-177.
31 Vgl. nur Wassermeyer Diskriminierende Werbung, S. 194.
32 Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1397, 1400; Fezer WRP 2001, 989, 1017 f.; ders. JZ 1998, 265-275.
33 Steinbeck ZRP 2002, 435, 436, 438; Fezer JZ 1998, 265, 267; von Gierke FS Piper, S. 243, 253 f.; Knopf/Schneikart/Lembke Sex/ismus und Medien, S. 29, 36, 44, so tendenziell auch bereits 1979 Hering/Wild Weibsbilder, Nachwort.
34 Schricker/Henning-Bodewig WRP 2001, 1367, 1397, 1400; Fezer WRP 2001, 989, 1017 f.; ders. JZ 1998, 265, 266.
35 Steinbeck ZRP 2002, 435, 438; Kocher KJ 2003, 293, 305.
36 Beschlussempfehlung/Bericht des Rechtsausschusses zur BegrRegE UWG 2004, BT-Drucks 15/2795, S. 21.
37 Scherer GRUR 2008, 490, 493, 495; dies. WRP 2007, 594, 595; Ohly GRUR 2004, 889, 894 f.
38 Anders Völzmann Geschlechtsdiskriminierende Werbung; Schricker/Henning-Bodewig Elemente einer Harmonisierung des Rechts des unlauteren Wettbewerbs in der Europäischen Union, S. 79; Ahrens JZ 1995, 1096, 1099 (allerdings zu § 1 UWG 1909).
39 Sack WRP 2005, 531, 543.
40 OVG Münster, Beschluss vom 24.06.2009 – 5 B 464/09, NJW 2009, 3179 – Erotik-Portal.
Berit Völzmann: Geschlechtsdiskriminierende Werbung
In: Rechtshandbuch für Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte.